Die Tücken eines Heißluftballons

(In Gedenken an  Horst von Riegen, dem ich das schöne Erlebnis des Ballonfahrens verdanke.)

©Silke Herbst 14.08.2006

 

Ich kann mich gut daran erinnern, dass ich vor Jahren unter extremer Höhenangst litt. Gelegentlich war das Stehen auf einem Stuhl schon ein absolutes Problem und meistens mit Angstschweiß verbunden. Etwa zu dieser Zeit lernte ich Julia kennen. Sie war Auszubildende in dem Büro, wo ich arbeitete. Julia erzählte mir, dass ihr Vater einen Ballon besaß und dass sie selber auch gerade den Pilotenschein machte, um ebenfalls Ballon zu fahren. Mir lief ein Schauer über den Rücken. Wie konnte man sich nur in so einem Gefährt in die Luft bewegen. Es war mir völlig unverständlich. Alleine bei dem Gedanken daran drehte sich mir der Magen.

Am Abend erzählte ich meinem Mann von diesem außergewöhnlichen Hobby. Im Gegensatz zu mir, brach er sofort in heller Begeisterung aus:

„Kannst du Julia nicht einmal fragen, ob ich Verfolger sein darf?“

Ich nickte nur stumm. Aber mein fragender Blick ließ ihn wohl weiterreden.

„Verfolger fahren dem Ballon mit dem Auto hinterher. Sie sind per Funk mit dem Piloten verbunden. Wenn der Ballon landet, sammeln sie ihn wieder ein und verstauen den Ballon in einem Anhänger. Irgendwie müssen die Leute ja auch zurückkommen. Mein Vater und ich haben schon oft versucht einen Ballon nach der Landung zu finden, aber ohne Funkkontakt ist es sehr schwer ihn zu entdecken, wenn der Ballon erst mal zwischen den Bäumen verschwunden ist.“

Das leuchtete mir ein. Ich konnte zu diesem Zeitpunkt zwar immer noch nicht verstehen, warum mein Mann so scharf darauf war, aber nun gut, wir würden sehen.

Am nächsten Tag berichtete ich Julia von der merkwürdigen Bitte meines Mannes. Sie lächelte und versprach mit ihren Eltern zu sprechen. Gleichzeitig teilte sie mir mit, dass am selben Abend noch eine Ballonfahrt geplant war. Vielleicht wäre es für uns interessant zuzusehen.

Und ob! Ich hatte meinen Mann abends kaum davon in Kenntnis gesetzt, als wir auch schon im Auto saßen und Richtung Mariensiel fuhren.

So machte ich meine erste nähere Bekanntschaft mit einem Heißluftballon. Ich war erstaunt, wie riesengroß die Hülle in Wirklichkeit war. Horst und Renate, Julias Eltern, erklärten uns bereitwillig und mit viel Geduld, was bei dem Aufbau zu beachten war. Es machte eine Menge Spaß. Als der Ballon gestartet war, hatte auch mich das Verfolgungsfieber gepackt. Genau genommen waren wir ja eigentlich die Verfolger von den Verfolgern.

Der krönende Abschluss der Ballongäste war zweifelsfrei die Taufe  nach der Landung. Man wird sozusagen in den Adelsstand erhoben und erhält einen dementsprechenden Namen. Die Gäste knieten auf kleinen Teppichen, während sie Horst die Worte eifrig nachsprachen. Anschließend wurde eine Haarsträhne abgebrannt und mit Sekt gelöscht. Da die Taufe meistens schon in der Dämmerung stattfindet, waren es sehr schöne Eindrücke, die sich mir boten.

Es war rundum ein herrlicher Abend. Und ich war süchtig, Verfolgungssüchtig. Wann uns immer auch eine Gelegenheit bot, verfolgten wir mit unserem Auto den Heißluftballon von Horst. Wenn wir ihn am Himmel sahen, machten wir schon einen Sport daraus, zu erraten wo die Verfolger stehen könnten.

Eines Morgens erzählte mir Julia, dass sie ihren Pilotenschein bestanden hätte. Sie lud mich zu ihrer Erstfahrt ein. Noch immer wurde mir bei diesem Gedanken flau in der Magengegend. Ich hatte doch noch immer diese unerträgliche Höhenangst.  Auf gar keinen Fall wollte ich ihr die Erstfahrt verderben, indem ich heulend unten im Korb saß. Also bat ich sie, jemanden mitzunehmen, an dem sie mehr Freude hatte.

Mein Mann verstand die Welt nicht mehr. Wie konnte man so ein Angebot ablehnen? Meine Angst hatte halt gesiegt.

Allerdings verfolgten wir nun zwei Ballone regelmäßig. Meistens hängten wir uns an Julia.

Eines Abend wehte eine etwas stärke Priese und Julia beschloss nicht zu starten. Es war ein sehr warmer Tag. Ich trug zwar eine lange Hose und festes Schuhzeug, hatte aber aufgrund der Temperaturen nur ein leichtes bauchfreies Oberteil gewählt. Nicht die geeignete Ausrüstung zum Ballonaufbauen, wie sich später herausstellten sollte.

Nachdem ich geholfen hatte, die Hülle auseinander zu ziehen, ging ich vorne an den Korb. Und Hängte mich in die Seile. Die Seile, die Korb und Hülle verbanden, mussten aus dem  Bereich des Brenners gezogen werden.

Ein großer Ventilator pustete Luft in die Hülle, während der Pilot anfing, diese mit einem Brenner zu erhitzen. So erhebt sich die Hülle langsam vom Boden. Es ist ein sagenhaftes Schauspiel es mit an zu  sehen.

Während ich das Seil nach hinten zog, sah Renate, die auf der anderen Seite hing, zu mir rüber. Neben ihr stand ein Gast, der ebenfalls mit einem Seil beschäftigt war. Auf ihrer Seite stand ebenfalls der Ventilator.

„Wollen wir die Seiten tauschen“, fragte Renate. „Wenn Horst gleich anfängt zu brennen, ziehen die Flammen durch den Ventilator zu dir rüber. Deine Arme sind ungeschützt.“

Ich überlegte kurz und willigte ein. Sie hatte Recht, ich würde mir die Armhaare verbrennen.

Wir tauschten die Seiten und ich hing nun neben dem Gast. Als ich die Flammen des Brenners sah, war ich froh. Plötzlich kam von hinten ein kräftiger Windstoß. Der Gast und ich konnten den nicht standhalten und der ganze Ballon machte einen Satz. Noch immer an den Seilen ziehend, machten wir die Bewegung mit und setzten einen großen Schritt nach vorne.

Vorsichtig sah ich nach dem Brenner. Nein, wir waren noch weit genug von den Flammen entfernt, Gott sei Dank.

Plötzlich kam eine starke Brise von der Seite und ich sah etwas Rosanes vor meinem Gesicht hin und her flattern.  Vage konnte ich einen Aufdruck erkennen. Was konnte das denn nun wieder sein? Ein Werbeplakat? Ich versuchte zu erspähen, woher es kam.

Ein Blick nach rechts verriet mir dann, dass ich direkt vor dem großen Ventilator stand.

„Oh nein, es ist mein Shirt“, schoss es mir durch den Kopf.

Dann fiel mir schlagartig ein, dass ich unter dem Shirt ja nichts weiter trug. Ich stand also quasi im Freien. Vorsichtig schaute ich nach links zu dem Gast. Er schien total irritiert zu sein und versuchte etwas hektisch wo anders hinzuschauen. Krampfhaft startete ich den Versuch an meinem Shirt vorbeizuschauen. Auf der anderen Seite stand Renate und war kurz vor einem Lachkrampf. Nur noch mit Mühe konnte sie ihn unterdrücken.

Verzweifelt lehnte ich mich nach hinten, um Gewicht auszugleichen und griff mit der rechten Hand immer wieder nach meinem Shirt. Die ersten paar Male griff ich ins Leere. Dann klappte es. Ich erwischte einen Zipfel. Mit voller Wucht zog ich den Stoff nach unten.

Etwas beruhigt griff ich wieder mit der rechten Hand nach dem Seil. Renate sah herüber und platze endgültig vor Lachen. In der Panik hatte ich übersehen, dass das Shirt einen weiten Ausschnitt hatte. Statt alles zu bedecken, war die ganze Pracht vorne durch den Ausschnitt wieder herausgefallen. Eigentlich nicht viel Unterschied zu vorher. Nun war es auch um meine Fassung geschehen. Prustend vor Lachen ließ ich das Seil los. Ich war davon überzeugt, dass mein Kopf sich der roten Farbe des Firmenlogos, welches sich auf der Ballonhülle befand, langsam anglich. In diesem Moment beschloss ich, beim Ballonaufbauen nur noch T-Shirts zu tragen, die ich bis zu den Knien in die Hose stecken konnte. Wenn möglich auch noch mit leichtem Kragen. So etwas sollte mir nun wirklich nie wieder passieren.

Im Laufe dieses Sommers haben wir den Ballon noch oft auf- und abgebaut und viele schöne Taufen erlebt. Ich sorgte immer für entsprechende Kleidung, dafür nahm ich dann gerne andere Peinlichkeiten mit. Aber trotz allem machte es immer wieder Spaß.

Im Nachhinein wurde sehr bedauert, dass niemand von meiner Shirt-Aktion ein Foto gemacht hatte. Die Piloten meinten, es wäre ein schönes Foto für die Fachzeitschrift gewesen.

Ich glaube ich hätte jeden Preis für Fotos und Negative gezahlt, wenn das der Fall gewesen wäre.

 


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