Hilfe, wie verstehe ich meinen Mann?
©Silke Herbst
Eigentlich hatte ich mir mein Leben völlig anders vorgestellt. Als ich 15 Jahre war, habe ich gedacht, ich würde einmal meinen Prinzen heiraten, zwei Kinder haben und wunschlos glücklich sein. Heute habe ich eher den Eindruck, ich habe mit 15 Jahren auch noch an den Weihnachtsmann geglaubt. Sicherlich habe ich geheiratet, sogar zwei Mal, aber das ist auch alles, was eingetroffen ist. Dafür verbringe ich heute die meiste Zeit meines Lebens an einem Schreibtisch. Nicht, dass ich etwas gegen Schreibtische hätte, aber sie haben halt wenig von einem Prinzen. Aber vielleicht sollte ich mich erst einmal vorstellen.
Ich heiße Catherine S. und bin 36 Jahre alt, zumindest steht es so in meinem Ausweis.
Lassen wir den langweiligen Teil über meine Kindheit lieber gleich aus. Sie wissen schon, das übliche Gerede, wie: Ich wuchs behütet auf usw. Interessiert wahrscheinlich sowieso niemanden. Auch die Katastrophe von meinem ersten Mann ist nicht erwähnenswert. Natürlich hat er mir die besten Jahre meines Lebens geraubt. Damit fielen der Prinz und die Kinder schon für mich weg. Gut, die Sache mit dem Prinzen hatte ich schon früher kapiert, aber irgendwie hatte ich die Hoffnung nicht aufgegeben.
Das wirkliche Phänomen in meinem Leben ist mein zweiter Mann. Seine Feinfühligkeit bringt mich manchmal um den Verstand. Nicht, dass wir uns falsch verstehen. Ich liebe meinen Mann über alles. Es ist für mich nur nicht immer ganz einfach, ihn zu verstehen.
Es sind so die kleinen Situationen des Alltags, die mich verzweifeln lassen. Kennen Sie das auch? Sie haben etwas erlebt und möchten es ihrem Mann erzählen.
Bei uns sieht diese Situation so aus:
Ich sitze zu Hause und bin total aufgedreht, weil ich meinem Mann, die wichtigste Person in meinem Leben, unbedingt etwas erzählen möchte. Da ich zwei Stunden eher daheim bin, steigert es meinen Drang mit ihm zu reden. Ich renne vier- bis fünfmal zum Fenster und schaue nach, ob sein Wagen endlich um die Ecke biegt. Dann wieder ein nervöser Blick zur Uhr. An solchen Tagen verspätet er sich immer, als ob er ahnt, was zu Hause auf ihn zu rollt. Vielleicht hat er so eine Art Antenne dafür, zumindest kommt es mir häufig so vor. Der Sekundenzeiger bewegt sich mittlerweile im Zeitlupentempo. Jetzt kommt der Moment, wo ich die Spannung nicht mehr aushalte und zum Telefon greife. Verzweifelt rufe ich in seiner Firma an. Wenn ich Glück habe, geht keiner mehr ans Telefon. Das ist ein gutes Zeichen, er ist unterwegs. Ich gieße mir also einen Kaffee ein und werfe noch einmal einen prüfenden Blick aus dem Fenster. Endlich sehe ich, wie er auf die Auffahrt fährt. Ich versuche mich zu beruhigen und setzte mich mit einem gleichgültigen Gesichtsausdruck an den Küchentisch. Ich höre, wie er die Tür aufschließt. Ich atme noch einmal tief ein und versuche die Ruhe selber zu sein. Er kommt in die Küche. Scheinbar gelassen stehe ich auf und stelle ihn einen Becher Kaffee auf den Tisch. Es folgt ein kurzer Begrüßungskuss und er setzt sich. Er hat kaum einen Schluck Kaffee genommen, dann explodiere ich. Jetzt muss ich ihm mein Erlebnis erzählen. Wild entschlossen lege ich los. Erfahrungsgemäß weiß ich, dass er mir nicht lange zuhört. Ich versuche also in einer wahnsinnigen Geschwindigkeit, alle Informationen in ihn reinzustopfen. Nach 3 Minuten ist seine Geduld am Ende. Er gibt mir eine unpassende Antwort und verschwindet mit seinem Kaffee vor dem Fernseher, genau genommen vor dem Videotext. Ich starte den nächsten Versuch. Verzweifelt gehe ich ihm nach und starte meine Ausführungen von vorne. Ausdruckslos schaut er mich an und weißt mich darauf hin, dass er Fußballergebnisse liest und für meine Probleme im Moment keine Zeit hat. Er würde sich später damit beschäftigen. Also nie! Mein Puls geht auf 180.
„Willst du damit sagen, die Fußballergebnisse sind wichtiger, wie meine Probleme“, schreie ich ihn an.
Als Antwort erhalte ich ein schlichtes: „Ja!“
Das macht er inzwischen sehr gelassen, ohne mich anzusehen. Seelenruhig liegt er vor dem Fernseher, trinkt seinen Kaffee und vertilgt eine Tafel Schokolade. Ich koche vor Wut. Doch bevor ich zum nächsten Schlag ausholen kann, setzt er seine Geheimwaffe ein: Er zieht seine Schuhe aus. Spätestens beim nächsten Atemzug verlasse ich fluchtartig das Wohnzimmer. Meistens enden solche Abende damit, dass ich enttäuscht zum Telefon greife und eine Freundin anrufe.
Aber fangen wir von vorne an. Nach meiner Scheidung war ich viel unterwegs und genoss meine Freiheit in vollen Zügen. So kam ich damals von Wilhelmshaven nach Zetel. In einem Restaurant, in dem ich abends nebenbei kellnerte, lernte ich den Kumpel meines jetzigen Mannes kennen, der dort ebenfalls arbeitete. Eines Abends saßen sein Kumpel und ich nach Feierabend noch zusammen und ich fluchte, wie jeden Abend, über die Männer.
Freundlich lächelte er mich an und sagt: „Wir wäre es denn mit meinem Freund?“
„Den kenne ich doch überhaupt nicht“, antwortete ich ihm entsetzt.
„Na, der hat doch bis eben hier gesessen.“
Mit großen Augen schaute ich ihn an. Da hatte jemand gesessen. Das musste mir völlig entgangen sein. Na ja, noch ehe ich bis drei zählen konnte, hatte ich eine Verabredung zum Essen. Wie diese Geschichte ausgegangen ist, wissen wir ja bereits.
Kurz darauf hatte ich Geburtstag. Wie jedes Jahr feierte ich in einem Lokal in Sande. Natürlich habe ich auch meinen Mann dazu eingeladen. Nebenbei fragte er mich, was ich mir wünschen würde. Ich sagte ihm, ich würde mir nichts wünschen. Böse Falle, ich bekam nämlich auch nichts, wie ich es mir gewünscht hatte. Nicht mal einen herzlichen Glückwunsch. Er ignorierte meinen Geburtstag komplett. Als ob ich die ganzen Leute nur so zum Spaß eingeladen hätte. Ich sprach ihn auf sein Verhalten an. Er erklärte mir, er hätte lediglich meinen Wunsch respektiert und schließlich er hätte mich ja extra gefragt. Ich schüttelte den Kopf. Ich war davon ausgegangen, dass er zumindest an einen Strauß Blumen denken würde.
Da kommen wir zum nächsten Problem. Mein Mann würde mir niemals Blumen schenken. Er steht auf dem Standpunkt, dass Männer, die Blumen verschenken, ein schlechtes Gewissen haben. Wir hatten uns eben erst ein kleines Haus in Bockhorn gekauft, als mein Mann mit einem großen Strauß nach Hause kam. Ich habe mich gefreut, wie eine Schneekönigin. Schließlich hatte ich mich ja auch um alles gekümmert, was Finanzierung, Bauablauf usw. betraf. Meine Freude hatte ihren Höhepunkt erreicht, da kamen auch schon die ernüchternden Worte: „Nicht, dass du glaubst, ich hätte ein schlechtes Gewissen. Die Blumen hat eine Kundin vergessen. Zum Wegschmeißen sind sie zu schade.“
Ich fühlte mich, wie ein Fallschirmspringer in der Luft, nur das mein Fallschirm sich nicht öffnen ließ.
„Warum hast du mir dieses kleine Detail nicht einfach verschwiegen?“, fragte ich ihn.
„Ich kann nun mal nicht lügen. Wenn ich es nicht gesagt hätte, würde es so aussehen, als ob ich ein schlechtes Gewissen hätte. Ich habe aber keins.“
Unser nächstes Lieblingsthema sind Deckenfluter. Früher fand ich sie einmal schön, heute bekomme ich schon von dem Wort einen Ausschlag. Nach meinem Geburtstag strebten wir unserem ersten gemeinsamen Weihnachtsfest entgegen. Einen Samstag fuhren wir in die Stadt, um Weihnachtsgeschenke einzukaufen. Sorgfältig speicherte ich alles ab, was mein Mann sich näher anschaute. Schnell hatte ich mich für ein Geschenk entschieden. In einem Laden in der Marktstraße fand ich eine kleine Porzellanhand, in der sämtliche Handlinien eingezeichnet waren. Fasziniert blieben meine Augen an ihr kleben. Gedanklich überschlug ich meine Finanzen, als mein Mann plötzlich anfing zu drängeln. Er wollte unbedingt weiter. Ich stellte die Hand zurück ins Regal und wir stürzten uns wieder in das Weihnachtsgedränge. Am Heiligen Abend gab es dann die große Überraschung. Ich bekam einen Deckenfluter. Bis dahin war alles in Ordnung, wenn er seinen Mund gehalten hätte. Hat er aber nicht. Stattdessen bestand er auf eine Erklärung, warum er sich für den Deckenfluter entschieden hatte: „Eigentlich wollte ich dir die Porzellanhand schenken. Ich war schon auf dem Weg, als ich an diesen Deckenfluter vorbei kam. Er war stark reduziert, also konnte ich nicht widerstehen ihn dir zu kaufen. Er ist für dich ganz persönlich.“
Der Rest des Abends war für mich gelaufen. Diese Zusatzinformation wollte doch nun wirklich keiner hören. Aber die Rache war mein. Bewusst stellte ich den Deckenfluter in die Ecke und nutzt ihn nie. Eines Abends sprach mich mein Mann darauf an. Er wollte wissen, warum ich den Deckenfluter nie einschalten würde.
„Klarer Fall“, antwortete ich ihm siegessicher, „du sagtest doch, er sei für mich persönlich. Also kann ich ihn nur benutzen, wenn ich alleine bin. Wenn du dabei bist, hättest du ja auch einen Nutzen davon und das Licht ist nicht mehr für mich persönlich oder?“
Was soll ich noch dazu sagen, es folgten noch weitere Deckenfluter. Immer, wenn ihm nichts einfiel, bekam ich einen Deckenfluter. Gut, dass wir jetzt ein Haus haben und viel Platz.
Seine Meisterleistung hat er jedoch auf dem Standesamt in Schortens vollbracht. Wir sitzen also vor dem Standesbeamten. Nachdem der Standesbeamte mit seiner Rede fertig war, erklärte er, dass er unsere Daten nun noch einmal vorlesen würde, bevor es zur Unterschrift käme. Anschließend legte er das Blatt in seine Mappe zurück und legte meinen Mann eine andere Urkunde vor. Niemand hat diesen Vorgang bewusst registriert. Auch ich nicht. Mein Mann schaute den Standesbeamten ernst an und sagte mit lauter, kräftiger Stimme: „Das unterschreibe ich nicht.“
Weiter sagte er nichts. Triumphierend guckte er in die Runde. Es herrschte eine Totenstille im Raum. Ich sah mich um. Überall entsetzte Gesichter. Tausend Gedanken schossen mir durch den Kopf. Was sollte ich jetzt tun? Ich entschloss mich weiter zu lächeln und abzuwarten. Nach scheinbar endlos langer Zeit sagte er dann: „Das ist nicht das Blatt, woraus sie uns vorgelesen haben, also unterschreibe ich nicht. Ich hätte gerne das andere Blatt zur Unterschrift.“
Tausend Steine fielen mir vom Herzen. Über die Diskussion zwischen meinem Mann und den Standesbeamten konnte ich dann sogar lachen. Wir waren kaum draußen angekommen, als sich unsere Trauzeugen ihren Anpfiff holten.
„Hast du dir durchgelesen, was wir unterschrieben haben?“, fragte er seinen Trauzeugen.
Dieser schüttelte verneinet den Kopf. Dann wandte er sich an meine Trauzeugin und stellte die gleiche Frage. Auch sie musste zugeben, den Inhalt nicht studiert zu haben.
„Wozu habe ich euch denn mitgenommen?“, schimpfte er und tobte.
Der Rest des Gespräches entzieht sich meiner Kenntnis. Ich habe es vorgezogen, auf den Schreck im Standesamt, einen Sekt zu trinken.
In solchen Momenten wünsche ich mir, es gäbe ein tragbares Mauseloch, in das ich mich verkriechen könnte. Leider hat es noch keiner erfunden. So manövriert mich mein Mann wohl weiterhin von einer peinlichen Situation in die Nächste.